Ein Wochenende unter Thüringischen Trachtenfrauen

Ein Wochenende unter Thüringischen Trachtenfrauen

In Kürze vorweg: es war das Gegenteil von langweilig.

Der Thüringer Landestrachtenverband hatte seine Mitglieder aufgerufen, eine gestickte Blüte zu schicken, daraus sollte ein Wandbehang hergestellt werden.


Als ich von dem Auftrag hörte, beschloss ich nicht mit Hilfe von Google mir ein Bild von der Thüringer Tracht zu machen, ich dachte, ich würde den verwendeten Blumenschmuck in den eingesandten Blüten erkennen. Ich kann von mir behaupten, dass ich eine Fachkraft von selbstgemachten Blüten bin, denn vor 19 Jahren gingen über 10 000 Blüten durch meine Hände: der Fachverband Textilunterricht bat um eine Idee für eine Öffentlichkeitsarbeit, sie wollten dafür werben Textilunterricht weiterhin in den Schulen zu unterrichten und baten um eine selbstgemachte, textile Blüte. Eindrucksvoll ist das Ergebnis: über 10 000 Menschen aus 14 Nationen haben sich an der Aktion beteiligt, der Teppich ist 13 m lang geworden.


Dies erzählte ich den Frauen, als ich mich ihnen vorstellte. Wir trafen uns in Wutha in der Hörselberghalle „Was erzählen mir die eingesandten Stickereien? Wohl sind sie alle selbstgemacht, doch sie wurden nicht alle für dieses Projekt hergestellt, manche von ihnen sind – wie soll ich mich ausdrücken? - antik; diese Stücke wurden aufbewahrt und diesem Projekt geschenkt. Begegnen wir ihnen mit Wertschätzung. Ein neuer Begriff dafür lautet: upcycling. Gemeinsam etwas tolles daraus machen. Bevor wir die Blüten ordnen bitte ich darum, dass sich jede erst einmal vorstellt.“ Zu meiner Überraschung stellten sich die Damen nicht nur mit ihrem Namen, sondern auch mit ihrem Dorf vor, denn das sollte ich im Laufe des Wochenendes lernen, unterschied sich die Tracht von Dorf zu Dorf. Manche hatten ein Foto dabei (aufgeklebt auf Pappe, mit handschriftlichen Notizen.) Wenige zückten ihr Handy und zeigten mir ihre mit schwarzen Federn geschmückte Hauben. Oder sie beschrieben mir Schnitt und Material. (Vier Meter für den Rock! Gleichmäßig in Falten gelegt, mit Hilfe von einem karierten Stoff, den man auf der Rückseite aufnähte, für den gleichen Abstand der Falten. Aber nur hinten, vorn war der Rock immer glatt!) Zur Verdeutlichung sprangen sie auf und zeigten mir, wie der weite Rock beim Tanzen flog.


Ich versuchte mir Namen und die richtige Aussprache von Mosbach ein zu prägen.


Wir stellten acht weitere Tische auf und bedeckten die Tafel mit einem grünen Tuch. Ein Spiel begann: aus den gesammelten Blüten Paare herausfinden, ein großes gesticktes Memory. Wir brachten die Zwillinge zur grünen Tafel, sie bildeten das Grundgerüst. Dazwischen füllten sich die Beete mit vertrauten Blüten: Sonnenblumen, Rosen, Glockenblumen usw. Gemeinsam entschied sich die Gruppe dafür jeder einzelnen Blume einen grünen Rahmen zu geben. Mit unsichtbaren Stichen wurden die Blüten aufgenäht.

     


Plötzlich ging die Tür auf und zwei Frauen flogen in den Raum, mit duftendem Gepäck. „Wir sind die Backfrauen und wir unterstützen euch! Wir können nicht nähen, aber backen!“ In Windeseile bauten sie ein Kuchenbuffett auf, mit Teller, Tassen und frisch gebackenen Kuchen „Vorsicht noch warm!“ Welch eine köstliche Unterbrechung!


Anschließend setzten wir uns wieder um die riesige Tafel und nähten gemeinsam weiter. Manchmal wurde es richtig laut! So aufgeregt und freudig waren alle. Sich endlich wieder einmal treffen und erzählen. Sie berichteten mir von ihren Aktionen. Von Umzügen und Auftritten. „Und in Erfurt habe ich mir auf dem Marktplatz die Absätze weggetanzt.“ Wer kann das schon von sich behaupten! Und in Rom. „...ja, vorm Petersdom auf dem großen Platz, da sind die Leute zu uns gekommen und haben uns fotografiert in unserer Thüringischen Tracht, doch als wir am nächsten Tag so zu sagen „in Zivil“ gingen, hat uns niemand angesehen.“ Und beim Trachtenumzug in... es gab viel zu erzählen. Viel Lachen und eine große Freude ging von den Frauen aus, aber auch Kummer.


In Mosbach – beim Lesen gibt es keine Schwierigkeiten mit der Aussprache – „da ist beim letzten Hochwasser...“ deutlich sind mir aktuelle Katastrophenbilder vor Augen „...ist das Dorfgemeinschaftshaus abgesoffen und hat das ganze Parkett angehoben. Wir haben keinen Raum mehr.“


Aber da müsste doch etwas zu finden sein! Sie erzählen mir wie sie sich einmal in der Woche zum Handarbeiten getroffen hatten. Über Jahrzehnte! Sie haben gegenseitig gelernt und gelehrt. Alte Trachten aufzutrennen und daraus die Schnitte für ihre Tracht abzunehmen. Sie haben gestrickt - nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere „...und für die Waden, ja, da hatte ich 150 Maschen auf der Nadel (Kennerinnen werden nun seufzen.). Sie haben gehäkelt „...die kleinen Täschchen waren gut beim Umzug und für die Enkel und deren Handy“. Sie haben gestickt. Sticken geübt, Muster ausgetauscht. Sie haben sich weitergebildet, sind geschickter geworden. Von diesem Werdegang legt der Blütenwandbehang Zeugnis ab. Sie haben sich nicht nur auf ihren Trachtenausflügen begleitet, sondern Anteil genommen an ihrem Alltag, ihrem Leben. „Gepflegt hab' ich meinen Mann 12 Jahre lang“. Sie haben sich gegenseitig unterstützt, wahrgenommen, wertgeschätzt. Sie teilen gemeinsame Erfahrungen.


Ich konnte es hören an ihrem lebhaften Erzählen, ihrem Lachen, sie waren kurz davor zu singen.


Ich verglich es mit meinen Erfahrungen in Berlin, hier habe ich bemerkt, wie Einsamkeit in unserer Gesellschaft schon sichtbar ist. Umso mehr hat mich der Zusammenhalt bei den Thüringischen Frauen imponiert und glücklich gemacht.


Anfangs wollten nur noch zwei Damen auch am Sonntag kommen, die meisten hatten fürs Wochenende andere Termine eingeplant, doch auch am Sonntag saßen wieder ein Dutzend Frauen um den Nähtisch, den wir im Laufe des Sonntags immer mehr verkleinerten, um auch in der Mitte des großen Tuches die Blüten fest zu nähen.


Auf dem anderen Tisch war erneut ein Buffett für mich aufgebaut. Nicht für den Magen, sondern fürs Auge. Auf dem Tisch lagen Thüringische Trachtenteile. Ein Hochgenuss fürs Auge. Ich bewunderte die Hauben „..die Stickerei habe ich selbst entworfen und gestickt!“, die harmonische Farbzusammenstellung beim Schürzenschmuck. „...und hier mit ganz kleinen Perlen!“


Ich lernte Binseneier kennen. (Wie viele werden nun bei Google nachschauen? Zu meiner Freude kann ich sagen: sie werden fündig werden). Eine Frau zeigte mir Musterbücher (Verlag für die Frau) und selbst gestickte Hosenträger. Eine andere packte ihre Pretiosen aus: antike Hauben, mit schwarzen Schleifen aus Seidensatin. Fadenscheinige Seidentücher. Zerbrechlich und lose, aber noch sehr geliebt. Eine Kette aus Knochenperlen. „Die bekam die Braut. Je nachdem wie wohlhabend sie war, wurde an die Kette Goldtaler und ähnliches angehängt. Wenn sich die Frau scheiden ließ, durfte sie diese Kette mitnehmen.“ Nach einer längeren Pause fügte sie noch hinzu: „Sie durfte die Kette mitnehmen, sonst nix. Egal, was ihr vorher gehörte und ob sie schuldlos geschieden wurde.“ Mit einem hohlen Klappern fiel die Kette in die Spanschachtel zurück. Mir fiel sogleich eine aktuelle Dokumentation von einem Berliner Pfandleihhaus ein, wo Frauen ihren Brautschmuck veräußerten.


Ein weiteres Trachtendetail erregte meine Aufmerksamkeit: auf einem gewölbten Haubendeckel „wir sagen: Haubenspiegel“ waren Goldfäden gestickt. Aus den flachgeklopften Goldfäden „wir sagen: Goldlahn“ wurde eine flache, glänzende Fläche gebildet, das Muster zeigte sich durch den verwendeten gedrehten Goldfaden (wir sagen: Cordonettdraht“). Noch nie hatte ich einen goldenen Damast gesehen.


Da jedes Dorf ihre eigene Haubenmode gefunden hatte, sollte es möglich sein die Haube richtig zu zu ordnen. Ich war sehr gerührt von der lebendigen, textilen Geschichtsschreibung, Es wird möglich sein heraus zu finden. woher der Großvater diese Haube hatte und in der Lade seiner Enkelin vererbte.


Wieder flog die Tür mit freudigem Lachen auf, diesmal überraschten uns die Backfrauen „will Jemand noch Kuchen?“ mit selbstgemachtem Käse und Rezeptbüchern.


Eine Sektflasche ploppte. Alle Blüten waren festgenäht!


Welch ein schöner Hintergrund auf der BUGA, wenn alle Thüringischen Trachtenfrauen in ihren feierlichen schwarzen Röcken, ihren strahlenden weißen Blusen und ihren roten Rosentüchern


(Schneewittchenfarben) auf der Bühne stehen.


Und vielleicht bemerkt so manch eine junge Frau neidisch, wie stolz und freudig die Damen sich zeigen und vielleicht kommt ihr in den Sinn auch..., aber wie soll sie sich mit den Frauen treffen können, wenn diese keinen Raum haben?


In Berlin nennt man es „niederschwelliges Angebot“, Schnupperkurse, einfach mal unverbindlich vorbeikommen, auf einen Kaffee und dabei den anderen über die Schulter schauen, wenn sie stricken, häkeln oder spinnen. Reden, zuhören, sich austauschen. Bereichern. „Wer im Haus einen alten Menschen hat, hat einen Schatz.“ Ich habe in Wutha wahre Schätzchen kennengelernt.


Ich wünsche den Frauen die Aufmerksamkeit und die Wertschätzung, die sie verdienen und möchte mich bei ihnen für das aufregende und lehrreiche Wochenende bedanken. Und eine große Bitte anfügen: bitte dokumentieren sie ihre Arbeit. Schreiben sie die Geschichten auf oder erzählen sie die Geschichten bei youtube, ich werde nicht ihre einzige Followerin sein.


Mit freundlichen Grüßen: Ursel Arndt


Fotos: Silvia Bischoff, Vorsitzende Heimat- und Trachtenverein Sonneborn e.V.