Kindergärten müssen Keimzellen der Trachtenbewegung werden

Kindergärten müssen Keimzellen der Trachtenbewegung werden

Vor 175 Jahren begann der Siegeszug der Kinderbetreuung


Fragt man den Deutschen, was der bekannteste Erfolgsschlager seines Landes ist, so fallen sofort Namen wie der Volkswagen, das Schmerzmittel Aspirin, die traditionellen Weihnachtsmärkte oder Filmproduktionen, wie „Tatort“ und früher „Derrick“. Niemand kommt darauf, dass es einen Namen in der Welt gibt, der nicht übersetzt und weltweit die gleichen Qualitätsmaßstäbe verkörpert. Ich meine den Kindergarten. Egal, ob in Hongkong, in New York, in Tansania oder Tokio, gute Kinderbetreuung und frühe kindliche Bildung wird mit dem Namen Kindergarten umschrieben. Thüringen hat der Welt dieses Produkt geschenkt! Nur die Deutschen sind wenig stolz auf diesen Exportschlager, auf ihr Erfolgsprodukt, denn sie haben es zwischenzeitlich zur Kindertagesstätte mutiert und kurz KITA abgekürzt. An dieser Stelle sei danke gesagt dem Freistaat Thüringen, der sein Kindertagesstättengesetz jetzt in ein Kindergartengesetz geändert hat.


Der Pädagoge Friedrich Fröbel, auch gern „Vater des Kindergartens“ genannt, gründete 1840 in Bad Blankenburg den ersten Kindergarten der Welt. Ein Versuch, der an diesem Standort nicht von Erfolg gekrönt war, aber doch einen Beginn manifestiert. Erst die Berufsausbildung von Frauen und Männern zu „Kinderführern“ oder Erziehern, verschaffte der neuen Bildungsidee nachhaltigen Erfolg. Fünf Jahre nach der Gründung des ersten Kindergartens gab es nur drei Einrichtungen in Deutschland, die nach Fröbel`s Idee der frühkindlichen Bildung arbeiteten und zwar in Dresden (1842), in Homburg vor der Höhe (1844) und in Frankfurt am Main (1845). Am 3.September 1845 eröffnete die Fröbel Schülerin Christiane Erdmann (1826-1908) in Gotha im Haus ihres Onkels Johann Christian Heinrich Friedrich Drescher (1797-1846) einen Kindergarten. Nach seinen Eindrücken vom Besuch der Einrichtung befragt, kommt Fröbel zwei Jahre später zu der Feststellung:


„Das erste und wichtigste ist wohl die Verbreitung der Kindergärten und die Art derselben selbst. Alles frühere voraussetzend oder wenn es nötig ist gelegentlich erwähnend, beginne ich mit dem Jahr 1845, weil mit diesem eigentlich auch die Verbreiterung der Kindergärten als solche er beginnt….. es bestand bis dahin zwar schon der Kindergarten zu Dresden, der zu Frankfurt am Main und er zu Homburg vor der Höhe, allein es wollte aus all diesen keine rechte allgemeine Ausbreitung von Volksleben hervorgehen… kein echtes Kindergartenleben, nicht das Leben eines Kinderparadieses in ihnen frei machen will…Erst Anfang des Jahres 1845 …. Meine Reise führte mich über Gotha… da blühte der Kindergarten…durch die freie Überzeugung der Eltern von der Sache, wie der Kinderfreunde der Erzieher und Lehrer…ja diese Anstalt wirkt nun schon wieder gleichsam als Übungsschule wieder weiterbildend…“


Fröbel erkannte, in Gotha ist ihm der Durchbruch seiner Idee gelungen! Ist nun Gotha und nicht Bad Blankenburg die Keimzelle des deutschen Exportschlagers? Ganz so einfach kann man es nicht beantworten, denn Fröbel hatte bereits 1839 in Dresden einen Kindergarten ins Leben gerufen. Oftmals nutzte er dazu bestehende Kleinkinderbewahranstalten, die aber meist, wie es der Name sagt, nur aufbewahrten und nicht bildeten, was Fröbel stark kritisierte. Sicherlich wissen wir, dass die Anfänge der Kinderbetreuung viel älter sind als die Bemühungen Fröbels, ihm kommt jedoch der große Verdienst zu die frühkindliche Bildung entdeckt zu haben. So soll es schon im 13.Jahrhundert Einrichtungen öffentlicher Kleinkindererziehung in Deutschland gegeben haben. Den Anfang nebenfamiliärer Kinderbetreuung setzte der Pfarrer Friedrich Oberlin (1740-1826), der im Jahr 1770 in Steintal in den Vogesen eine Strickschule gründete, wo die Kinder nützliche Tätigkeiten erlernten, um ihren Eltern bei der Bestreitung des Lebensunterhaltes zu helfen. Der Gothaer Verlag Carl Wilhelm Ettinger veröffentlicht 1792 das Buch „Über die vereinigte Niederlande“ von Jakob Grabner, wo erstmals die Tätigkeit von Spielschulen für Kinder einem breiten Publikum vorgestellt worden ist. Von England kam der Ansturm auf die Gründung von Kinderbetreuungseinrichtungen im 19.Jahrhundert. Männer, wie Robert Owen und Joseph Wilson gründeten 1812 und 1820 Kleinkinderschulen, um die Eltern zur Arbeit freistellen zu können. In Deutschland war es 1802 Fürstin Pauline zu Lippe-Detmold (1769-1820) die eine Aufbewahrungsanstalt für kleine Kinder ins Leben rief, der 1819 in Berlin eine „Anstalt für Unmündige von ¾ bis 5 Jahren“ folgte. Immer war es Ziel dieser Einrichtungen, den Müttern die Arbeit zu ermöglichen, weshalb sie mehr einer Aufbewahrung, denn einer Bildung dienten. Erst Friedrich Fröbel wandte sich mit seinem Kindergarten dem Kind zu, er wollte „….die angemessene Pflege der Kinder von dem frühesten bis zum schulfähigen Alter, ganz besonders durch Beachtung und Beschäftigung ihres Tätigkeitstriebes“ voranbringen. Warum er seine Einrichtung Kindergarten nannte, beschreibt Fröbel mit den Worten „Garten = Paradies, also Kindergarten - das den Kindern wieder zurück zu gebende und gegebenes Paradies“.


Welchen enormen Beitrag Frauen für die frühkindliche Bildung im 19.Jahrhundert leisteten, wird durch die Biografie von Christiane Erdmann deutlich. Geboren als drittes uneheliches Kind einer unverheirateten Mutter am 29.September 1826. Von der Mutter aufs Land nach Dachwig zu einer Tante geschickt, erhielt sie an der Fahner Höhe eine gute Schulbildung, hatte jedoch keine Chance allein ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Durch die Bekanntschaft ihres Onkels Drescher in Gotha mit Friedrich Fröbel, kam ersterem die Idee, Christiane als Erzieherin ausbilden zu lassen für seine und der Nachbarn Kinder. Christian Heinrich Drescher finanzierte die Ausbildung von Christiane Erdmann, stellte ihr in seinem Haus Räume für den Kindergarten bereit und warb durch Spielnachmittage in der Gothaer Bürgerschaft um Kinder für den Aufbau eines Kindergartens. All dies gelang und es entstand der erste Gothaer Kindergarten. Nach dreijähriger Arbeit und Ausbildung neuer Kindergärtnerinnen ging Christiane Erdmann zuerst nach Hamburg, um dort den dritten Kindergarten der Stadt ins Leben zu rufen und 1851 nach Berlin, wo sie den ersten Kindergarten der preußischen Hauptstadt begründete, der wenig später verboten worden ist. Nach dem Berufsverbot hat sie in Halle an der Saale eine neue Heimat gefunden, wo nicht bekannt ist, ob sie ihren Beruf in den letzten 50 Lebensjahren noch einmal ausüben durfte, denn sie verstarb völlig verarmt 1908 in dieser Stadt.


Heute gibt es Kindergärten in allen Dörfern und Städten Deutschlands, ungezählt die vielen schönen Gärten, wo sich Kinder wohlfühlen können. Diese Keimzellen sind auch der Hort, wo heimat- und Trachtenvereine beginnen müssen. Kinder tanzen und singen von Natur aus gern, diesen Trieb sollten wir nutzen, denn sie wollen nicht in Jeans oder Kleidchen aus dem Supermarkt auf dem Tanzplatz oder der Bühne stehen. Schon in frühesten Tagen Kindern mit einer einfachen Tracht die Kleidung der Altvorderen zu zeigen, das macht Spaß, denn bei Großeltern kommt Freude auf, weil sie einst selbst in solchen Gewändern tanzten und Eltern könnten verärgert sein, weil ihnen die Möglichkeit verwehrt geblieben ist, so farbenfreudig zu erscheinen. Deshalb sind auch Eltern potentielle Mitglieder für unsere Vereine, denn wer soll denn Kinder zur Probe oder zum Auftritt bringen? Ich will alle Vereine gerade in Zeiten, wo man denkt es geht nicht mehr weiter, ermutigen, auf unsere Kindergärten zuzugehen. Ein Kinderlachen entschädigt für alles was auf dieser Welt passiert. Denkt an das alte Sprichwort, was da spricht: „Alle sagten, es geht nicht. Dann kam ………, der wusste das nicht und hat es einfach gemacht!“(in der Lücke setzt ihr den Namen ein, dem ihr etwas zutraut, kann auch der Vereinsname sein). Die Rühler wird es freuen, was jetzt kommt, denn sie haben nicht nur eine sehr aktive Kinder- und Jugendtrachtengruppe, sondern auch ihr „Rühlscher Revolutionär“, der Dichter Ludwig Storch (1803-1881), hat enge Verbindungen zum Kindergarten. Er war Friedrich Fröbel in Freundschaft verbunden und warb bei ihm nach dem Weggang von Christiane Erdmann nach Hamburg für eine junge Witwe namens Bernhardine Herold (1812-1885), die auch 1849 den Gotaher Kindergarten übernahm. Ludwig Storch selbst wird 1851 zum Begründer des ersten Kindergartens in Nordhausen, der als erstes Kindergarten im Königreich Preußen nach wenigen Tagen seines Bestehens verboten wird. Nach dem Tod seiner Frau holt Storch Bernhardine Herold nach Nordhausen, sie heiraten und gehen später nach Kreuzwertheim, wo ihr Grab noch heute besteht.


     


Übrigens, fällt mir gerade ein, dass es noch ein zweites sehr gutes Exportprodukt der Deutschen gibt, was meist vergessen wird. Weltweit geschätzt wird die duale Berufsausbildung, eine Bildung von Praxis und Theorie, die der Versicherungsgründer Ernst Wilhelm Arnoldi am 29.März 1818 in Gotha ins Leben rief und die seither für weltweite Furore sorgt. Man muss eben nur genau hinschauen, dann sieht man, was wirklich wichtig ist und wo Gutes beginnt.


Also Menschen in Tracht macht euch auf den Weg zu den Kindern, holt sie weg vom Laptop und Smartphon. Zeigt ihnen den Garten dieser Welt und das Werk wird gelingen.


PS: Wer mehr erfahren will zum Thema „Es müssen Kindergärten sein, soll Volksbildung wahr und recht sein!“, der kann einen Artikel von mir im Buch „Gotha illustre – Jahrbuch für Stadtgeschichte 2021“ nachlesen. Zu bestellen bei der Stadt Gotha, Hauptmarkt 1, 99867 Gotha ISBN: 2698-6027