Tracht aus der Enge der Vereine befreien
Lebhafte Diskussion zum „Tag der Tracht“ in Wechmar
Der Thüringer Landestrachtenverband e.V. versammelte am Sonntag, den 18. Oktober 2015 mehr als siebzig Trachtenträgerinnen und Trachtenträger aus ganz Thüringen, um mit einer Podiumsdiskussion am bundesweiten „Tag der Tracht“ teilzunehmen. Mit einem prallgefüllten Rokokosaal des Landhauses Studnitz gab der größte Verband der Heimatpflege im Freistaat den Startschuss für eine Vielzahl verschiedenster Veranstaltungen im Bundesland. Vor etwa zehn Jahren hatte der Deutsche Trachtenverband diesen Ehrentag für das ländliche Gewand ins Leben gerufen, um der Tracht eine breite Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu schenken.
Landesvorsitzender Knut Kreuch hatte sich deshalb hochkarätige Gesprächspartner eingeladen, so den bekennenden Trachtenträger, Werbefachmann, Journalisten, Musikant bei den „Stäfflesgeigern“, aktiven Fastnachter, Organisator des Cannstatter Volksfestumzuges und populären SWR-Moderator, Wulf Wager. Mit dem Humanmediziner und Gymnasiallehrer, Dr. Christian Klau aus dem Altenburger Land, saß in der Gesprächsrunde ein Mann, der mit Haus und Hof, mit Frau und Kindern, mit Landschaft und Natur seine Traditionen in Tracht auslebt. Für Johanna Schack und Natalie Kreuch war der Tag eine Premiere, erstmals saßen zwei junge Tänzerinnen auf dem Podium, die über ihren Weg zur Tracht und die Schwierigkeiten im Alltag berichteten.
Gleich zu Beginn der Diskussion gab Wulf Wager mit seinen Thesen „Tracht muss aus dem Ghetto der Vereine heraus“ oder „wollt ihr etwa vollgekotzte 40 Euro Wegwerfdirndl“ den notwendigen Zündstoff für eine interessante Diskussion. Dabei erzählte der Schwabe, wie er einst über seine Eltern zur Tracht kam, wie er die Abwendung der „68-er“ erlebte, den späteren Wiederaufschwung genoss und wie er heute mit Stolz seine Tracht überall dort trägt, wo man ihn nicht in Tracht erwartet. Er forderte die Trachtenträger einfach auf mutiger zu sein, die Tracht nicht nur zu tragen, wenn Trachtenfeste sind, sondern auch im Gemeinderat in Tracht zu erscheinen, das Brauchtum der Kirmes mit der Tracht zu heben, in Tracht zu heiraten, wie er es schon zweimal tat, oder einfach nur am Sonntag ins Gasthaus zum Bier zu gehen und dabei mit der Frau Tracht zu tragen.
Etwas anders ist der Weg von Dr. Christian Klau, er wurde nicht durch seine Eltern zur Tracht geführt, sondern durch die Pfadfinderbewegung, wo ihm ein alter Meister noch in der Zeit der Deutschen Teilung vom wunderschönen Altenburger Land vorschwärmte. Als die Einheit so plötzlich kam, gingen Christian und seine Frau auf Suche und fanden den wohl bekanntesten Altenburger Bauernhof, der aber total verfallen war. Nach der Liebe auf den ersten Blick begann der schwierige Aufbau und das bedeutende für ihn, völlige Identifizierung mit seinem Haus, das nur eine Steckdose besaß, mit seinem Hof und dem alten Plumpsklo, seinen Stallungen die von Sandsteinpfeilern getragen wurden, wie einst in einem Märchenschloss. Hintendran einem Garten voller Früchte, die die kleine Familie gar nicht essen konnte und so vielen nicht erzählten Geschichten. Er ging ans Werk, investierte viel Geld, aber er fand Freunde auf anderen alten Bauernhöfen, mit denen er den Verein der Historischen Altenburger Bauernhöfe gründete.
Natalie und Johanna erzählten, dass sie durch ihre Familien zur Tracht kamen, und dass sie die Kleidung gern tragen, nicht nur im Volkstanz. Bei den jungen Damen gibt es Erbanlagen, denn sowohl die Eltern, wie auch die Großeltern sind im Verein. Natalie, die ihre Freundinnen Jana und Madeline mitgebracht hatte, erzählte davon, dass sie sich in einer Seminarfacharbeit ihres Gymnasiums mit der Erneuerung der Trachten auseinandersetzen.
Einig waren sich alle Diskutanten, dass Familie und ländlicher Raum wichtige Quellströme auf dem Weg zur eigenen Tracht sind. Wulf Wager forderte, den jungen Menschen nichts vorzuschreiben, sondern sie erkennen zu lassen, was gut, wichtig und identisch ist. Junge Menschen muss man einfach auch mal laufen lassen, so sein Credo „und wenn sie auf die Schnauze fallen, beim nächsten Male tragen sie Tracht, denn da fällt man in eine Gemeinschaft Gleichgesinnter“.
In einer sich ständig wandelnden Mediengesellschaft, wo keine echten Freundschaften entstehen können, man immer wieder den Begriff „Heimat“ gebraucht, ohne daheim zu sein, wo Bräuche und Traditionen sehr schnell fehl gedeutet werden, ist es besonders wichtig zu wissen, wo man herkommt und welche Traditionen man in die Zukunft mitnehmen will.
Auf die Frage von Moderator Knut Kreuch, der nun mittlerweile selbst auf mehr als drei Jahrzehnte Leben für Tradition und Heimat blicken kann, ob es Tracht in hundert Jahren noch geben wird, war die Antwort von Christian Klau ganz einfach „Ja selbstverständlich“ und Wulf Wager formulierte noch deutlicher: „Fernsehen wird im nächsten Jahrzehnt seine Bedeutung als Massenmedium verlieren, es wird neue Formen der Information geben. Wetten dass? Wegschalten, wie das Fernsehen, kann man die Trachten nicht, denn immer dort, wo Menschen bereit sind sich in Tracht zu zeigen, wird die Kleidung einer Region in ihren besonderen Formen weiterleben.“
Nachdem auch interessante Fragen aus dem Publikum beantwortet werden konnten, ging nach zwei Stunden die Podiumsdiskussion zum „Tag der Tracht“ in Wechmar zu Ende. Und nicht nur beim anschließenden Sonntagsschmaus mit Thüringer Klößen und Entenbrust wurde kräftig weiter diskutiert. Im nächsten Jahr wird es in Wechmar wieder ein Podium für die Tracht an ihren Ehrentag geben, doch vorher treffen sich am 7. November 2015, 13 Uhr, alle thüringischen Trachtenträger in Wechmar zu ihrer Jahreshauptversammlung, wo erstmals als „Botschafter für die Tracht“ ein Thüringer Trachtenpaar vorgestellt werden wird.
Text: Knut Kreuch
Fotos: Eva Kowalewski