Finsterbergen und meine ganz persönlichen Gedanken

Finsterbergen und meine ganz persönlichen Gedanken

Dem Ältesten zum 125-jährigen Geburtstag


Denk ich an Finsterbergen, so werden alte Geschichten wach. Und zwar jene, die mir meine Großmutter und meine Eltern erzählten von meinem ersten Urlaub. Es war wohl im Jahr `69, nicht 1869 sondern einhundert Jahre später und ich zählte noch keine drei Lenze, da machten meine Eltern, scheinbar, weil mein Vater im Wald arbeitete und keine Veränderung vertrug, Urlaub in Finsterbergen. Da sie meinten, ich wäre für den anstrengenden Aufenthalt noch zu klein, blieb ich bei Oma Anna. Das schien mir nicht zu gefallen, denn Oma konnte mich nicht beruhigen. Ich schrie den ganzen Tag. So ging sie am Abend mit mir in die Schänke zu Tante Gertrud und Onkel Gerald, weil dort das einzige öffentliche Telefon des Dorfes war und sie rief in der Pension in Finsterbergen an. Erschrocken über die Situation vor Ort, wurde eine Urlaubs-Zusammenführung für den nächsten Tag geplant und ich war beruhigt. Es folgte eine aufregende Nacht ohne Tränen. Am nächsten Morgen fuhr Oma mit mir mit dem Bus nach Gotha, dort stand schon mein Vater an der Haltestelle, nahm mich in Empfang und nach der nächsten Busfahrt war in Finsterbergen Familien-Wiedersehen, der unbeschwerte Urlaubstage folgten. So wurde am Anfang meines Lebens Finsterbergen für mich der Ort familiärer Einheit. Jahre später blieb ich mir selbst treu und folgte im heißesten Sommer nicht der Verlockung des Wald-Schwimmbades, denn es war das Kälteste weit und breit, und ins schulische Schwimmlager mit meinem Lehrer Karl-Heinz wollte ich auch nicht. Das einzige, was mich schon als Schuljunge reizte an Finsterbergen, war das tolle Heimatmuseum mit den schönen Trachten des Waldes.


     


So vergingen die Jahre, aus dem Knaben wurde ein Mann und der wusste wenig über Finsterbergen, wo eine der frühesten Siedlungen der Thüringer Landgrafen war und die Söhne Herzog Ernst des Frommen von Sachsen-Gotha im 17.Jahrhundert eine Kirche stifteten. Irgendwie war mir klar, dass der Reichtum des Waldes die Menschen ernährte, sie waren Holzfäller wie mein Vater, sie waren Waldarbeiterinnen wie Oma Anna, sie waren Holzschnitzer oder Zapfenpfücker, auch Hirten, wie meine Vorfahren aus den Familien Liebau und Hertha. Einige waren auch Weltreisende, damals Fuhrleute, wie Johann Georg Kreuch, der im 18.Jahrhudnert aus Ohrdruf nach Wechmar kam, sich verliebte und eine ganze Dynastie gründete.


Helga Raschke`s Sozialstudien über das wahre Leben im Wald schufen in mir keine Seligkeit zur guten alten Zeit, sondern Dankbarkeit, dass ich nicht im Wald Äste sammeln und kilometerweit nach Hause tragen muss, dass ich es nicht bin, der die Kühe von Hang zu Hang treiben muss, damit sie nicht verhungern, dass ich mich nicht streiten muss mit neunmalklugen Nachbarn, die mich wegen des Bimmelns der Kuhglocken verklagen wollen oder, dass ich verdammt bin unter hohen Tannen zu graben, um Erze und Mineralien zu finden, deren Verkaufserlös meine Familie ernährt.


Die Bescheidenheit der Menschen des Waldes bewahrte sie lange Zeit vor dem Fluch der modernen Wegwerfgesellschaft, die vor 200 Jahren schon begann. Sie hatten nur ein Festgewand und das war ihre Tracht. Als nach 1850 die ersten wohlhabenden Bürger aus der Stadt im Wald Erholung suchten und sich nicht nur am Wochenende, sondern viele Tage lang in den Fremdenzimmern aufhielten, da begannen die ersten Gastwirte darüber nachzudenken, was kann ich meinen Gästen anbieten, damit sie solange wie möglich blieben, denn nur so, verdiene ich etwas?


Da erinnerte man sich, dass sich früher die Mädchen in Spinnstuben zur Handarbeit und zum Gesang trafen, dass es im Dorf eine Spindlerkapelle mit urigen Volksmusikinstrumenten gab, dass die Frauen des Dorfes besonders gut kochen und backen können, dass der Mensch Erinnerungen (Souvenirs) braucht, um wiederzukommen. Die ersten Souvenirs waren seltene Steine und Erze, geschnitzte Handpuppen und Holzwaren, Kienrußäpfel und sehr bald schon Postkarten. Für diese Postkarten brauchte man schmucke Motive und so suchten die Mädchen von Finsterbergen ihre alten Trachten hervor und waren die ersten Frauen im Thüringer Trachtenbild.


Wenig später, 1892 kam der Lehrer Gustav Hartung ins Dorf, der es verstand, die Jugend des Dorfes für die alte Muttersprache, die Kleidung, das Volkslied, den Volkstanz und die Volksmusik zu begeistern. Wo Kinder begeistert sind, kommen Eltern und Alte dazu und so geschah es auch in Finsterbergen, wo sich 1895 der erste Trachtenverein Thüringens gründete, der noch heute aktiv ist.


Mit dem Einzug der Moderne in den Städten und Dörfern versuchten die Menschen stärker als früher das Alte zu bewahren und verbanden damit auch ihre Heimattreue und Heimatliebe. So war es auch in Finsterbergen, wo zuerst eine Kapelle sich gründete, der zwei Jahre später die Trachtenträger folgten. Ihre geselligen Abende waren der Höhepunkt im Aufenthalt der Kur- und Erholungsgäste. Schnell entdeckten auch die Herrschenden die bunte Schar der Trachtenträger und förderten sie in allen Orten ihres Landes. Fröhlichkeit, Tracht und Sitten in der Öffentlichkeit zu zeigen war der Beweggrund, um die bis heute beliebten Trachtenfeste ins Leben zu rufen und die Finsterberger waren bei den ersten Festen 1907 in Gotha und 1908 in Reinhardsbrunn mit dabei. Noch vor dem ersten Weltkrieg reisten sie nach Mainz, um dort das Gothaer Land beim 1.Deutschen Volkstrachtenfest zu vertreten.


Mit Heimatspielen, Volkstheater und eigenen Liedkompositionen schaffte es die Trachtengruppe Finsterbergen immer wieder sich aus eigener Kraft weiterzuentwickeln, sich neu zu zeigen und modern auszustellen. Gegründet in einer Zeit, als Deutschland noch von einem Kaiser regiert worden ist, verloren sie treue Mitglieder durch zwei Weltkriege, darbten am Hungertuch nach den Kriegen, nahmen Fremde auf, die Zuflucht suchten, überstanden die vierzigjährige deutsche Teilung, gingen nicht unter und wendeten sich nicht in der Freude der Wiedervereinigung 1989/90 und feiern nun den 125.Geburtstag in einem Jahr, wo das Virus CORONA die Menschheit in die Knie zwingt.


Sie waren so glücklich, denn sie waren Mitwirkende in Berlin zu den Eröffnungsveranstaltungen der Olympischen Spiele 1936 und den Weltfestspielen der Jugend und Studenten 1951. Sie erkannten nicht, wie alle der damals Versammelten, welchen Zweck die deutschen Erntedankfeste in Bückeburg verfolgten. Und sie atmeten auf, als sie sich in Frieden wieder treffen konnten, bis Mauer und Stacheldraht sie wieder trennten. Da blieben nur noch das Bezirksfolklorefest 1975 in Schmalkalden 1975 und die Treffen mit den befreundeten Trachtenvereinen nebenan. Und dann, nach 29 Jahren Wiedersehen mit Freunden und eine einladende Welt, die von den Finsterbergern auf hunderten Trachtenfesten gern erkundet worden ist. Wie viele Kilometer sind sie wohl geschritten in Trachten- und Festumzügen in den letzten 125 Jahren? 


Wer gern reist, muss auch selbst einmal Gastgeber sein. So taten es die Finsterberger und zwar im Jahr 1995, als sie uns alle zum 2.Thüringer Landestrachtenfest anlässlich ihres 100-jährigen Jubelfestes einluden. Und wenn der Bürgermeister in Tracht kommt, so wie es Karl-Heinz Faulstich tat, dann kann nichts schiefgehen und wieder habe ich gespürt: In Finsterbergen sind wir familiär vereint.


Was bleibt mir noch zu sagen? Glückwunsch an unsere Freunde in Finsterbergen, ihr habt so viele Höhen und Tiefen erlebt, habt so oft Regen und Sonnenschein auf euren Trachten gespürt, dass euch keine Wetterlage, keine politischen Umbilden, keine steuer- und finanztechnischen Forderungen aus dem Gleichgewicht werfen können.


Hat mir auch irgendwann einmal Egon König auf einer Landesversammlung zugerufen „Der FKK raubt uns die Kinder!“ so sage ich heute unserem Ehrenmitglied immer daran denken, für mich heißt heute FKK - Finsterbergen-Kann-Kultur!


Knut Kreuch, Landesvorsitzender